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„Veganismus macht nicht behindert“

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Unser Interview mit Christian Opitz hat viele Veganer empört. Denn er sagte, Veganer hätten vermehrt behinderte Kinder und dass diese Ernährungsform auf Dauer nicht durchzuhalten sei. Die Vegane Gesellschaft Deutschland nimmt nun Stellung zu seinen Aussagen.

Frauke Girus-Nowoczyn leitet den Bereich Gesundheit und Ernährung bei der Veganen Gesellschaft Deutschland. Seit vielen Jahren hält sie Vorträge zur veganen Ernährung, über einen ihrer Online-Vorträge habe auch ich sie kennengelernt. Frauke ist gelernte Heilpraktikerin und Homöopathin und hat festgestellt: „Du kannst den Menschen so viele Kügelchen geben wie du willst, manche Dinge werden einfach nicht besser.” Man müsse die Ursachen für Krankheiten aufspüren und entfernen. Im Moment sei die Ernährung, neben Umweltgiften, eine der Hauptursachen. „Umweltgifte kann ich nicht wirklich vermeiden – bei der Ernährung habe ich jedoch die alleinige Macht. Ich entscheide, was ich esse und was nicht.“

Frauke erzählt, dass sie und die Vegane Gesellschaft nach dem Tischgespräch-Interview mit Christian Opitz viele Fragen von Veganern bekommen hätten, die sich um ihre Gesundheit sorgten: „Deshalb wollen wir das so nicht stehen lassen“. Frauke selbst lebt übrigens seit 2004 vegan, zuvor ernährte sie sich viele Jahre vegetarisch.

„Optitz’ Aussagen kommen mir wie Effekthascherei vor. Er macht den Menschen Angst – und es geht nicht darum Angst zu machen, sondern Ängste zu nehmen. Wir können den Menschen sagen, dass mit der veganen Ernährung die Wahrscheinlichkeiten für Herz-Kreislauferkrankungen und für Krebs drastisch sinken. Dr. Campbell, der Autor der China-Study, schreibt ganz klar, dass tierliches Eiweiß Krebs verursacht. Für mich ist dieses Werk übrigens eines der wichtigsten Bücher überhaupt. Darin stehen Erkenntnisse, die sich in vielen Jahren immer wieder haben belegen lassen.

Natürlich kann die vegane Ernährung nicht alles an Zerstörung rückgängig machen, das wäre Hochmut. Aber zu sagen, diese Ernährung verursache Behinderungen – das ergibt keinen Sinn. Wenn man sich anschaut, was auf der genetischen Ebene bei einer Umstellung auf vegane Ernährung an Positivem passiert, hat es überhaupt keinen Sinn zu behaupten, dass diese Ernährungsform viele Behinderungen hervorrufen würde. Es sei denn, man macht schwere Ernährungsfehler. Dr. Dean Ornish hat begonnen, das zu erforschen.“

Ernährungsfehler kann man ja bei jeder Ernährungsform machen. Das Problem scheint nur zu sein, dass Menschen, die sich noch nicht so intensiv mit der veganen Ernährung auseinandergesetzt haben, gar nicht wissen, wie sie sich und ihre Kinder ausgewogen ernähren sollen. Das macht vielen Angst. Wie intensiv muss ich mich denn nun wirklich mit meiner Ernährung befassen?

Die Grundlagen einer gesunden Ernährung lassen sich sehr schnell erlernen. Das Wichtigste ist die Vielfalt. Nicht umsonst schreiben die American Diet Association und auch die kanadische Gesellschaft für Ernährung in ihren Statements, dass eine gut geplante, vegane Ernährung für jedes Alter angemessen und geeignet ist. Ich würde noch hinzufügen, dass sie vollwertig und abwechslungsreich sein soll. Die Fragen nach bestimmten Vitaminen, allen voran B12, muss man gar nicht bis in ihre tiefsten wissenschaftlichen Grundlagen verfolgen. Es genügt, sich regelmäßig über einen Bluttest Gewissheit zu verschaffen, wie der eigene Spiegel ist und eventuell zu supplementieren. Gerade das Thema Vitamin B12 wird zu Unrecht als ein veganes Problem gesehen. Dabei betrifft es die Mehrheit der Menschen in Deutschland.

Trotzdem beibt ein mulmiges Gefühl, wenn Opitz von behinderten Kindern veganer Eltern spricht.

Was mich wirklich aufregt ist die Tatsache, dass man versucht, die vegane Ernährung für Behinderungen ursächlich verantwortlich zu machen, ohne dass konkrete Beweise dafür vorlägen. Gleichzeitig wissen wir spätestens seit Anfang der 90er Jahre, dass Milch bei Kindern Diabetes Typ-1 auslösen kann – eine Erkrankung, die die Lebensqualität enorm einschränkt und unter anderem oft für Erblindung, Amputationen und frühen Tod verantwortlich ist. Ich habe selbst in der Jugend eine Freundin so verloren. Das wird jungen Eltern aber nicht mitgeteilt und sogar vehement negiert, obwohl es auch dafür Belege in Form wissenschaftlicher Studien gibt. (1)

Verstehst du trotzdem, dass solche Sorgen manchen von einer veganen Ernährung abschrecken?

Die Freiheit, meine Nahrungsmittel zu wählen, beinhaltet, dass ich mir überlege was ich damit anrichte. Freiheit ohne Verantwortung gibt es nicht. Ich habe die Verantwortung für meinen Körper so zu sorgen, dass er gesund bleibt. Ich habe natürlich auch die Freiheit das nicht zu tun; ich habe die Freiheit jung zu sterben. Meine Entscheidung. Und dann habe ich auch noch die Verantwortung für die Welt, und zwar jeder von uns.

Wenn sich jemand entschließt, Fleisch zu essen, muss er dafür die ganze Verantwortung übernehmen: dass in seinem Namen Tiere qualgezüchtet, qualgehalten und geschlachtet werden. Das ist seine Verantwortung, nicht die des Metzgers oder des Massentierhalters.

Verantwortung kann ja auch Macht heißen. Wie mächtig ist der Verbraucher wirklich?

Schau dir mal an, was mit E-10 passiert ist. Normalerweise hätten da alle drauf springen müssen, endlich etwas Ökologisches! Stimmt ja nicht, so ist es uns aber verkauft worden. Da hat die ganze Republik beschlossen: Kommt nicht in die Tüte! Stell dir mal vor, die ganze Republik würde beschließen, dass wir uns ab jetzt nur noch ethisch korrekt ernähren.

Ethisch korrekt zu handeln fällt aber schwer, wenn die Menschen um einen herum sich darüber keine Gedanken machen.

Opitz sagt, er hätte schon Leute am Nachbartisch Steak essen sehen, die eigentlich Veganer sind – na und? Das sehen wir doch täglich in den Nachrichten. Jeder Politiker macht das, er sagt das eine und tut das andere. Das hat doch nichts mit mir zu tun. Wenn ich das sehe, kann ich nur sagen, da stimmt wohl was nicht. Aber das hat doch nichts mit meinen ethischen Entscheidungen zu tun. So eine Begründung ist einfach nur feige.

Wie stehst du zu den Forschungen von Weston Price, mit denen Opitz begründet, dass wir tierische Fette essen müssen?

Die Forschungen von Weston Price sind diskutierbar. Weston Price war Zahnarzt und hat Leute in Afrika untersucht, die keine Karies und keine Zahnprobleme hatten. Wenn sie sich dann auf eine westliche Diät umgestellt haben, dann haben sie sofort Karies bekommen. Und Prices Antwort darauf war, ihnen Rohmilchbutter zu geben, die er aus Wales einfliegen ließ. Das soll ihnen angeblich geholfen haben.

Das hat aber weniger mit der Butter zu tun, sondern mit der Tatsache, dass die Kühe in Wales Ende der 30er Jahre noch richtiges Gras gefressen haben, was unsere Kühe heute ja so gut wie gar nicht mehr bekommen. Die Fettsäuren in der Milch hatten dadurch ein anderes Verhältnis, da spielen die Omega 3 und Omega 6 Fettsäuren eine wichtige Rolle. Was damals überhaupt noch nicht bekannt war, ist die krebserregende Wirkung des tierlichen Eiweißes, die wurde erst in den fünfziger Jahren entdeckt.

Du sagst, dieses Beispiel ist heute nicht mehr gültig?

Nein, es lässt sich nicht übertragen, da die Kühe heutzutage kein Gras mehr fressen, sondern hauptsächlich mit Getreide und Mais gefüttert werden. Da ist das Verhältnis der Omega-Fettsäuren anders als früher. Die Milch, und auch die Butter, die es heute gibt, haben nichts mehr mit dem zu tun, was Weston Price damals zur Verfügung hatte.

Opitz sagt aber, er kauft seine Rohmilchbutter nur von kleinen Bauernhöfen.

Es kann natürlich sein, dass diese wieder ein anderes Verhältnis hat – aber ich brauche die Butter nicht, um dieses Verhältnis von Omega 3 zu Omega 6 zu erreichen, da kann ich eben genauso gut einen grünen Smoothie trinken. Es geht nicht um die Butter, sondern um die Fettsäuren darin. Die Untersuchungen darüber sind aber noch nicht abgeschlossen, es wird weiter geforscht und wir lernen immer noch. Es ist, wie Opitz ja auch sagt, ganz wichtig, auf sein Gefühl zu hören und zu spüren, was einem wirklich gut tut. Die meisten Leute glauben und spüren aber, dass ihnen das gut tut, was sie krank macht. Milch und Käse zum Beispiel machen süchtig, weil da Kasomorphine drin sind. Über die Suchtwirkung wird natürlich diskutiert, viele streiten sie ab.

Auf Käse zu verzichten ist mir auch lange Zeit sehr schwer gefallen.

Ja, das geht fast jedem so, das ist unglaublich. Die Kasomorphine docken sich an die Opiumrezeptoren im Gehirn an – und dann bist du gewissermaßen süchtig. War ich auch. Dann ‚spüren‘ wir, dass wir Käse bräuchten – aber das stimmt nicht.

Um noch mal auf das Thema Behinderungen bei Kindern zurückzukommen – auf welche Dinge muss ich denn konkret achten, wenn ich als Veganerin schwanger bin?

In der Schwangerschaft musst du natürlich darauf achten, dass du mit allen Mineralstoffen gut versorgt wirst. Folsäure, Vitamin B12 – durch Folsäuremangel kann zum Beispiel ein offener Rücken entstehen. Das ist tatsächlich eine Behinderung, die aber nichts mit veganer Ernährung zu tun hat. Normalerweise nimmt man nämlich mit der veganen Ernährung besonders viel Folsäure auf. Aufpassen muss man eigentlich schon vor der Schwangerschaft, denn die Behinderung aufgrund von Folsäuremangel entsteht ungefähr in der vierten Woche. Da wissen die meisten Frauen noch nicht einmal, dass sie schwanger sind. Alle Produkte, die sie dann später verschrieben bekommen, können das nicht mehr beheben.

Kann so ein Folsäure-Mangel denn auch entstehen, wenn ich noch Fleisch esse? Und wie sieht es mit Eisen und Kalzium aus?

Natürlich, das hat nichts mit Veganismus alleine zu tun. Gerade beim Kalzium haben wir das Problem, dass Milch und Milchprodukte Kalziumräuber sind: Der Körper verbraucht mehr Kalzium, um das tierliche Eiweiß in der Milch zu verdauen, als ihm durch die Milch zugeführt wird. Dazu gibt es mehrere Studien. Die neueste, von 2010, kommt eindeutig zu dem Schluss, dass tierliches Eiweiß den Knochenabbau beschleunigt (2).

Milch und alle Produkte, die aus ihr hergestellt werden und die ich gern als weißes Gift bezeichne, verhindern zum Beispiel auch die Aufnahme von Eisen über den Darm. Wobei man jedoch auch wieder bedenken muss, dass ein Abfall des Eisenwerts im letzten Schwangerschaftsdrittel von der Natur vorgesehen ist, denn der Gegenspieler des Eisens, das Kupfer, steigt dann an und erleichtert die Geburt. Das wird in unserem ‚Normwertewahn‘ meist nicht berücksichtigt, die meisten Ärzte und Gynäkologen wissen das nicht einmal.

In einem Punkt stimmst du mit Opitz überein: Du bist ein Fan der grünen Smoothies.

Ich finde grüne Smoothies optimal. Am besten ist es, jeden Morgen erst mal einen grünen Smoothie zu trinken, am besten auf nüchternen Magen, da werden sie am besten vertragen und verdaut. Ich bereite mir jeden Morgen 1 Liter davon zu, meist reicht mir das bis zum Mittag.

Was ist an ihnen so wichtig?

Einer der Gründe ist, dass viele Nährstoffe enthalten bleiben. Außerdem ist die Kombination von Früchten und grünblättrigem Gemüse optimal, denn wir brauchen das Chlorophyll. Nur Frucht-Smoothies bringen es nicht – es muss das Grüne drin sein, nur da ist Chlorophyll drin und das ist quasi „Lichtnahrung“ für uns. Chlorophyll braucht die Pflanze zur Fotosynthese und das ist biologisch genauso aufgebaut wie unsere roten Blutkörperchen. Das ist die optimale Ernährung.

Ich bin aber kein Baum. Bisher habe ich noch nie gehört, dass Chlorophyll so wichtig sein soll. Ist die Wirkung irgendwo belegt?

Ich glaube, die einzige, die da wirklich geforscht hat, ist Victoria Boutenko, die ja die ganze Smoothie-Bewegung ins Rollen gebracht hat. Nein, stimmt gar nicht – Dr. Arthur Patek hat schon in den 30er Jahren nachgewiesen, dass Chlorophyll Eisenmangel behebt. Heute weiß man: Chlorophyll sieht aus wie unsere roten Blutkörperchen, nur dass sein Kern aus Magnesium ist, deshalb ist es grün und unser Blutkörperchen hat einen Eisenkern. Es entgiftet, hilft beim Aufbau neuer Blutzellen und behebt Eisen- sowie Magnesiummangel. Ich nenne ich es manchmal scherzhaft „Lichtnahrung“ weil es in der Pflanze aus dem Sonnenlicht Energie herstellt und wir dann diese Energie aus der Pflanze bekommen.

Und wenn sie mir nicht schmecken?

Dann hast du für den Anfang zu viel oder das falsche Grünzeug dazugegeben. Du musst mit ganz wenig Grün anfangen, vielleicht einer Handvoll. Mein Lieblings-Smoothie ist Ananas, Banane, Kiwi und dann entweder Babyspinat oder Kopfsalat, die sind geschmacklich sehr neutral. Bestimmte grüne Gemüse haben einen Eigengeschmack und dann fängt man eben nur mit ein bisschen Grün an und steigert langsam die Menge. Auch da hat Opitz Recht: Man gewöhnt sich daran, die Geschmacksnerven verändern sich und viele Mischungen, die einem am Anfang nicht so gut schmecken, schmecken einem nach einer Weile sehr gut. Trotzdem sollten die Smoothies einem von Anfang an schmecken. Ein guter grüner Smoothie ist deutlich grün, schmeckt aber nur nach Obst.

Christian Opitz sagt, man könne sich niemals ethisch ganz korrekt ernähren. Selbst Fairtrade-Bananen werden von irgendwoher verschifft und auch beim Anbau von Gemüse sterben Insekten, oder Rehkitze werden vom Mähdrescher erwischt. Wo ziehst du die Grenze der persönlichen, ethischen Verantwortung? Wie altruistisch muss man sein?

Diese schwarz-weiß Darstellungen finde ich völlig kontraproduktiv. Es geht nicht um Altruismus oder Perfektionismus. Die Frage nach der persönlichen Verantwortung ist eine, die wir uns immer wieder neu stellen müssen. Ich muss selbst entscheiden, ob ich lieber ein Bio-Öko-Projekt in fernen Ländern unterstützen möchte, oder den Umweltschaden durch die Verschiffung schwerwiegender finde. Ob ich Rohmilchbutter essen möchte, oder ob mir die Abkehr von der Nutztierhaltung mehr am Herzen liegt. Ob ich mich über alles oder in den Dienst des Ganzen stelle. So oder so, ich verantworte es. Wenn ich das beherzige und mir diese Fragen immer wieder stelle, bevor ich mich für etwas entscheide, dann bin ich frei.

Fußnoten
(1) Quelle: N Engl J Med. 1992 Jul 30;327(5):302-7.
A bovine albumin peptide as a possible trigger of insulin-dependent diabetes mellitus.
Karjalainen J, Martin JM, Knip M, Ilonen J, Robinson BH, Savilahti E, Akerblom HK, Dosch HM.
Hospital for Sick Children, Department of Pediatrics and Immunology, University of Toronto, ON, Canada.

(2) Campbell WW, Tang M: Protein intake, weight loss, and bone mineral density in postmenopausal women; J Gerontol A Biol Sci Med. Sci. 2010 Jul 6

Foto: Flickr / Flats!

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